Die Tageszeitung für Gießen

von Karsten Zipp
25.04.2003

Vom lecken Kahn zum schnittigen Oberliga-Kreuzer
Gießener SV feiert Meisterschaft in der Hessenliga – Aus der Bezirksliga zurückgekehrt

Karsten Zipp GIESSEN. Demnächst segeln sie auf dem Mittelmeer zwischen den griechischen Inseln. Kapitän Harald Peschke feiert dabei seinen neu erworbenen Segelschein. Und seine Crew bestehend aus Ingo Schäfer, Hans-Jürgen Lammers, Igor Maruk und Jürgen Boldt darf ebenfalls feiern: die Meisterschaft in der Tischtennis-Hessenliga. Wenn die fünf Segler dabei ab und an von Schwindelgefühlen geplagt werden, muss das allerdings nicht unbedingt an hoher See liegen. Schwindel könnte sie vielmehr erfassen, wenn sie auf den schnellen Aufstieg ihres Gießener SV in den vergangenen Jahren zurückblicken. Nach dem Oberliga-Abstieg 1988 ging es rapide abwärts. Ihren Tiefpunkt erreichten die Weststädter 1995, als sie in der Bezirksliga herumdümpelten.
Doch dann kehrte der Mann zurück, der den leck geschlagenen GSV-Kahn wieder zu einer schnittige Tischtennis-Yacht renovieren wollte: Jürgen Boldt. Das einstige Talent der Gießener hatte nach dem Oberliga-Abstieg mehrere Jahre für die TSG Wieseck und in Marburg gespielt. Doch dann zog es Boldt zu seinem Heimatverein zurück. „Der GSV ist immer mein Verein gewesen“, bekräftigt er. Doch damit geriet er in eine Zwickmühle: Sportlich hatte Boldt zwar weiter den Ehrgeiz höherklassig anzutreten, doch menschlich zog es ihn zu seinen Vereinwurzeln zurück. Da blieb nur eine Lösung: Der Angriffsspieler musste zugleich zum offensiven Manager werden. Und so legte Boldt nach seiner Rückkehr dem Vereine ein Konzept vor, mit dem er binnen weniger Jahre den Aufstieg in die Hessenliga vollbringen wollte. Ein ehrgeiziges Konzept. Ein Konzept, das sich dennoch in der Praxis bewährte. Mit viel Überzeugungsarbeit holte er ein paar Kleinsponsoren und Jahr für Jahr neue Spieler in das zunehmend attraktiver gestaltete GSV-Boot.
Und Erfolg zieht die Erfolgreichen an. „Irgendwann kamen neue Spieler selbst auf den Verein zu“, musste Boldt nicht mehr überzeugen, sondern überzeugt werden. Natürlich: Einige Untiefen galt es, zu umschiffen. Auch Boldt selbst trug sich nach einer verpassten Verbandsliga-Meisterschaft schon mal mit dem Gedanken, das kurzzeitig trudelnde Schiff zu verlassen. Doch umso schöner war es, als im Jahre 2002 schließlich der angestrebte Hafen erreicht wurde und der Hessenliga-Aufstieg perfekt war.
Fischer kommt nichtDamit aber nicht genug. Die GSV-Crew nahm gleich ein neues Ziel ins Visier und segelte derart schnittig durch die Liga, dass sie nun sogar mühelos am Oberliga-Dock anlegen kann. Schnittig war die Fahrt der Lammers, Peschke und Co. in der Tat: Mit 29:3-Punkten hatten sie fünf Punkte Vorsprung vor dem einzigen hartnäckigen Verfolger aus Weiterode. Als mit entscheidend für den Erfolgskurs sieht Jürgen Boldt eine taktische Finesse in der Vorrunde an: „Nach unserer einzigen Niederlage in Weiterode haben wir die Doppel umgestellt.“ Und mit Peschke/Boldt, Schäfer/Lammers und Maruk/Baldschus wurden fortan alle gegnerischen Klippen umschifft.
Auch den Ausfall von Tom Baldschus, der wegen privater Verpflichtungen nicht mehr spielen konnte, kompensierte der GSV dank seiner ausgezeichneten Verstärkungen aus der zweiten Mannschaft, die verlustpunktfrei den Titel in der Bezirksoberliga errungen hat. Mit dem 16-jährigen gebürtigen Gießener Dominik Reuter, der in Weilmünster wohnt, wird in der neuen Saison nur ein neues Mitglied die bewährte Crew verstärken. Zwar gab es Überlegungen und gar Anfragen, ob nicht gar ein neuer Steuermann kommen soll. Doch der ehemalige Nationalspieler Hansi Fischer („das wäre höchstens für ein Jahr gegangen“, so Boldt) oder der frühere Lindener Aas hätten das schmale Finanzbudget der GSV-Kreuzfahrt auf Dauer gesprengt.
Doch bevor nun in der neuen Klasse das Ziel Klassenerhalt („das wird eine schwere Sache“, glaubt Boldt) angesteuert wird, muss die GSV-Crew ihre Hochsee-Tauglichkeit in Griechenland unter Beweis stellen. Aber auch das der neuen Gießener Tischtennis-Yacht mühelos gelingen. Mit Sicherheit. Und mit Kapitän Harald Peschke.

Das GSV-Meisterteam1. Ingo Schäfer (29 Jahre/Wohnort Marburg): Der Vorarbeiter in einem Autozulieferbetrieb ist der Mann, „mit dem man gut Party machen kann“, wie Jürgen Boldt aus eigener Erfahrung weiß. Rückte nach glänzender Vorrunde ins vordere Paarkreuz.
2. Jürgen Boldt (29/Gießen): Der „Macher“ des GSV. Spielte im vorderen Paarkreuz die viertbeste Bilanz der Liga.
3. Igor Maruk (40/Litauen/Gießen): Der Ruhepol mit dem attraktiven Abwehrspiel pendelt zwischen seinem Heimatland und Gießen und versucht sich ein kleines Geschäft aufzubauen.
4. Harald Peschke (37/Atzbach): Der Abwehrspieler arbeitet als Lehrer und frönt zwei Leidenschaften: dem Segeln und Griechenland.
5. Hans-Jürgen Lammers (40/Gießen): Der „Gruftie“ der Mannschaft blieb in der Rückrunde ungeschlagen. Lammers arbeitet als selbstständiger Dentaltechniker.

 

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