Gießener Allgemeine vom 12. Januar 1974
Das Porträt der Woche
Heidrun Röhmig: Tischtennis-Bundesligaspielerin des Gießener SV
Als der Chronist bei der Gründung der Tischtennis-Bundesliga die GSV-Damenmannschaft mit "nicht nur spielstark,
sondern auch attraktiv" vorstellte, dürfte er dabei nicht zuletzt das einzige Eigengewächs des Vereins
in diesem Twen-Team "im Auge" gehabt haben: Heidrun Röhmig. Daß diese Einschätzung mehr
als gerechtfertigt war, bewies die inzwischen 22jährige Finanzanwärterin in der Folgezeit eindrucksvoll.
Ihre Siegesserie in den abschließenden Einzeln brachte dem GSV vor allem in der ersten Bundesligasaison so
manchen schon verloren geglaubten Punkt und half entscheidend bei der Erringung der Vizemeisterschaft, und auch
rein "optisch" setzte die Gießenerin mit ihrem dynamischen, eben schlichtweg attraktiven Spielstil
mancher sich zäh dahinschleppenden Begegnung Glanzlichter auf, die. sie gerade beim - wenn auch spärlichen
- Gießener Publikum beliebter machten, als man es bei einer "Nummer drei" eines Dreierteams eigentlich
vermuten sollte.
So spricht aus ihren Worten rundum Zufriedenheit. Ab 1960 beim GSV - das parallele Basketballspielen war auf die
Dauer eine zu starke Belastung - fand sie bei ihrem Klub die Möglichkeit einer nahtlosen Sportkarriere. Zunächst
nur "vierter Mann" in einer Mädchenschaft und, wie sie jetzt erkennt, mehr oder weniger Lückenfüller,
bleibt sie zwar als Einzelspielerin während ihrer Jugendzeit noch im ;,zweiten Glied", doch schon mit
16 Jahren rückt sie ins damals "erstklassige" Oberligateam des GSV auf. Als nach vier Jahren die
Spitzenleistungen des GSV in der Oberliga mit der Qualifikation für die Bundesliga belohnt werden, ist Herdrun
Röhmig mit von der Partie. Und sie ist stolz und dankbar, daß sie diesen langen Weg aus der Jugend bis
in die höchste deutsche Spielklasse in ihrem eigenen Verein gehen konnte. Inzwischen hatte sie sich auch als
Einzelspielerin in die Spitze Hessens und des Südwestens vorgekämpft. Die Hessische Juniorenmeisterschaft
1971 im Einzel und Doppel, die Deutsche Hochschulmeisterschaft im Doppel 1971 - nach ihrem 1970 abgelegten Abitur
studierte Heidrun Röhmig zunächst Jura - die Südwestdeutsche Juniorenmeisterschaft im Mixed und
ihre Ranglistenplacierung auf beiden Ebenen legen dafür ein beredtes Zeugnis ab.
Die größten Erfolge aber errang sie als Mitglied des GSV-Bundeligateams, das 1972 deutscher Pokalvizemeister
wurde und sich auch 1973 als Südwestpokalsieger in die Endrunde der vier deutschen Regionalsieger vorkämpfte.
Nicht zu vergessen der zweite Platz in der Bundesligastaffel Süd/Südwest.
Über ihre Stärken und Schwächen im Spiel ("Schwächen habe ich viele") braucht sie
nicht lange nachzudenken. Ihre Stärke ist der Angriff, besonders der Topspin und der Konterball, ihre Schwäche
der entscheidende Kernschlag. Der Vorschlag, ihr Spiel durch einen schnelleren Belag noch zu verbessern, weckt
Skepsis. "Noch mehr Zeit zum Training zu verwenden, kann ich mir nicht erlauben." Denn im Mittelpunkt
steht auch bei Heidrun Röhmig natürlich die Berufsausbildung. 1975 hofft sie, nach einer Tätigkeit
beim Finanzamt Gießen und einem Lehrgang in Rotenburg/Fulda die Inspektorenprüfung mit Erfolg abzulegen.
So nimmt es auch nicht wunder, daß sie - nach ihren Hobbys. gefragt -- Sonnen, Faulenzen, Lesen und ein passives
Interesse an so gut wie allen Sportarten angibt. Eine volle Arbeitswoche, die zusätzliche Prüfungsvorbereitung
und die nicht unerhebliche TT-Belastung machen diesen "Hang" zur Entspannung verständlich, ja notwendig.
Zudem ist Heidrun Röhmig - mit einem Oberligaspieler des GSV - verlobt, und "irgendwann werden wir natürlich
heiraten". (mitlerweile ist Sie mit Roland Flick verheiratet)
Über ihren Verein findet die Gießenerin nur Lob. Und die Gefahren der Kommerzialisierung? "Ich
kann mir nicht vorstellen, daß ich wegen Geld den Verein wechseln würde. Übrigens glaube ich das
von allen hessischen Spitzenspielerinnen sagen zu können. Das Thema ist bei uns einfach noch nicht akut."
Auch ist Heidrun nicht die Ursache, daß die Zukunft des GSV-Teams für die kommende Saison in den Sternen
steht. Bärbel Zips trägt sich mit dem Gedanken, wegen ihres Umzugs nach Südhessen den Verein zu
verlassen, was auch hinter dem Namen Gerlinde Glatzer das eine oder andere Fragezeichen setzt. Seitdem schwirren
zum ersten Male auch Heidrun Röhmig Rücktrittsabsichten ("auch wegen meiner Berufsausbildung")
durch den Kopf. "Doch die. bessere Lösung wäre natürlich, wenn wir auch in der nächsten
Saison eine ebenso lustige, kameradschaftliche und natürlich spielstarke Truppe zur. Verfügung hätten."
Überhaupt hat die Kameradschaft in der Hessenauswahl und in der GSV-Mannschaft ("am schönsten war
die Fahrt nach Versailles") Heidrun Röhmigs Herz immer mehr zugunsten von Mannschaftsspielen eingenommen.
Deshalb will sie auch bei einem notwendigen teilweisen Rückzug vom Tischtennis zunächst auf die Einzelwettbewerbe
verzichten, auch wenn sie zur Zeit noch Ambitionen auf einen möglichst guten Platz in der bevorstehenden Hessenranglistenausspielung
hegt. Doch im Mittelpunkt steht die Bundesliga. "Wir wollen in der Rückrunde zeigen,
daß wir zu den besten Teams der Südstaffel gehören. Koblenz, das wir auch in Höchstform kaum
schlagen können, kommt uns dabei bei unserem Trainingsrückstand durch die Hallenschließung als
,Aufbaugegner` gerade recht"
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