Die Tageszeitung für Gießen

Karsten Zipp
Montag, den 26. Mai 2003

 

Englisch neuer Präsident
Verbandstag in Watzenborn endet mit Votum für Alten-Busecker
Lange und erbitterte Diskussion - Zwei Wahlgänge

POHLHEIM. Es ist ein Tag der Gesten. Es ist ein Tag vieler Worte. Und es ist ein Tag, der mit einer Überraschung endet: Denn nach einem teils erbittert geführten Verbandstag wird der Hessische Tischtennis-Verband schließlich einen neuen Vorsitzenden haben: Der Alten-Busecker Norbert Englisch löst die bisherige Amtsinhaberin Anke Schreiber ab.
Doch das vermutet noch keiner, als am frühen Samstagnachmittag der Verbandstag in der Watzenborner Volkshalle beginnt. Da steht zunächst der Pohlheimer Bürgermeister am Mikrofon und heißt die Delegierten willkommen. Karl-Heinz Schäfer spricht davon, dass es in der Halle zu heiß sei und er den Hausmeister bereits beauftragt habe, die Klimaanlage anzustellen. Anschließend stellt er die Stadt Pohlheim vor. Besonders ans Herz legt er den Delegierten dabei den Limes. Den römischen Wall, der durch das Stadtgebiet läuft. An diesem Samstag erscheint das symbolisch. Der Limes: eine Mauer, die trennt. Zwischen Freund und Feind. Eine geistige Mauer trennt auch die Delegierten des Verbandstages.
Das wird nach den Grußworten, nach dem Gedenken an den kürzlich verstorbenen Verbandstrainer Siggi Richter und den zahlreichen Ehrungen für besondere Verdienste schnell deutlich. Beispiele für diese Mauer gibt es viele. Da steht ein Delegierter im Vorraum der Halle und denkt über die vielen Auszeichnungen nach. Das macht er laut. "So viele Ehrungen wurden noch nie vergeben", glaubt er. Und er glaubt, dass das ; Absicht sei. Wer von einem Verbandsvorstand geehrt werde, der stimme anschließend nicht gegen diesen Vorstand. Und, darum geht es an diesem drückend heißen Nachmittag in der Watzenborner Volkshalle, um die Macht im hessischen Tischtennis. Um die Wiederwahl der Präsidentin Anke Schreiber. Um die Opposition, die mit Norbert Englisch einen anderen Kandidaten bevorzugt. Vor allem aber um die lang anhaltenden Querelen zwischen diesen Gruppen, die inzwischen durch eine Mauer getrennt werden, die nicht mal mehr eine Lücke lässt, um auf die andere Seite zu schauen.

Auftritt Freudenberger
Und genau deshalb werden an diesem Tag jedes Wort und jede Geste argwöhnisch begutachtet. Gerade wenn die Präsidentin das Wort ergreift. Anke Schreiber sitzt in der Mitte des langen Tisches, der auf der Bühne der Volkshalle steht. Soeben erklärt die einst erfolgreiche Tischtennis-Spielerin der Versammlung, dass sie sich nicht an der "Schlammschlacht der vergangenen Monate" beteiligen werde. Das sagt sie mehrmals, Vielleicht einmal zu viel. Denn von einer Schlammschlacht hatte bislang keiner der Redner gesprochen. Wer etwas dementiert, das nicht behauptet worden ist, macht sich immer ein bisschen verdächtig. Und sie erklärt, dass der Vorstand zu keiner Zusammenarbeit mehr mit dem Staufenberger OliVer Buckolt, einem Beisitzer im Verbandsrechtsausschuss, bereit sei. Damit hat sie den Stein des Anstoßes erstmals beim Namen genannt.
Weil Buckolt ein Verbandsurteil als ungerecht ansah, daraufhin einen Leserbrief an die Verbandszeitschrift schickte und dieser nie veröffentlicht wurde, streiten sich die Delegierten so, wie man es sonst nur aus Bundestagsdebatten kennt. Zunächst ereifern sich die Vertreter der beiden Lager über das Verbandsurteil. Grob vereinfacht, sah dieses Urteil Bestrafungen für Vereine bei Nichtantreten vor, auch wenn die Teams untschuldigt waren. Keine große Sache eigentlich. "Ist es denn so wichtig, ob einer 2,50 Euro Strafe zahlen muss?", fragt eine Ersatzdelegierte, die im Gästebereich Platz genommen hat, ziemlich genervt. Doch aus der Lappalie ist eine Revolution innerhalb des Verbandes geworden.
Buckolt trägt Anzug und versucht am Mikrofon juristische Sachverhalte einfach zu erklären. Strafen trotz Nichtverschulden seien ungerecht, sagt er. Empört aber hat er sich or allem darüber, dass seine Kritik nicht veröffentlich wurde. Doch das geht ein bisschen im juristischen Disput zwischen dem 27-Jährigem und seinem Kontrahenten unter. Der Kontrahent heißt Bernhard Binnewies und sitzt der Revisionskammer des HTTV vor. Irgendwann sagt Binnewies in seinen rechtlichen Ausführungen, dass er Buckolt einen Lügner nennen könnte, dass aber nicht tun wolle. Das kommt offensichtlich bei keinem gut an.
Wichtig an diesem Streit ist eben nur, ob die Verbandsspitze mit Absicht kritische Leserbriefe unterdrückt hat. Und genauso wichtig ist, ob sie den Herausgeber der Verbandszeitung "Plopp" entmachten will. Der Herausgeber heißt Norbert Freudenberger. Freudenberger sitzt ebenfalls auf dem Podium. Nur nicht in einer Reihe mit den anderen
Vorstandsmitgliedern. Er hat den Platz an der Ecke erhalten. Auch eine Geste. Vielleicht eine, die die Präsidentin und ein paar ihrer engsten Mitstreiter später zu Fall bringen wird. Vielleicht. Denn Freudenberger scheint im Verband ein durchaus beliebter Mann zu sein.
Nachdem die Juristen beider Lager ihr für die vielen Laien ermüdendes Redegefecht beendet haben, geht Freudenberger vom Podium runter ans Mikrofon in der Halle. Der bärtige Mann schwitzt und ist sichtlich aufgeregt. So sprudeln die Worte nur so aus ihm heraus. Er spricht davon, dass der Vorstand die Veröffentlichung von Leserbriefen verhindert hat.
Er sagt, dass er keine Lust mehr habe, von den Vereinen für Dinge, für die er nichts könne, kritisiert zu werden. Oben schüttelt Anke Schreiber den Kopf. Unten hören die Delegierten zu. Der Freudenberger sieht aus, als wäre er einer von ihnen. Kein Anzugsträger. Kein Studierter. Einfach ein Tischtennisspieler, der sein Hobby irgendwann mal zum Beruf gemacht hat. Und wenn der empört ist, muss irgendwas nicht stimmen.

Auftritt Englisch
Später werden sich noch die Delegierten des Odenwaldkreises beschweren. Nachdem sie die Präsidentin und den Vizepräsidenten Michael Zwipp öffentlich kritisiert hatten, war ihnen eine Trainerfortbildung entzogen worden. Das sieht nach Rache aus. Die Präsidentin versucht den Vorwurf zu entkräften. Das gelingt ihr nicht so recht. Die Stimmung bleibt erregt.
Nach viereinhalb Stunden Rede und Widerrede geht es schließlich zur Wahl. Die beiden Hauptdarsteller haben jeweils drei Minuten Zeit, ihr Programm vorzustellen. Drei Minuten. Das ist nicht viel. Der Herausforderer Norbert Englisch sagt, dass er der Präsident aller Vereine sein will. Er rügt die schlechte Öffentlichkeitsarbeit der Verbandsspitze und das Ausgrenzen kritischer Mitarbeiter. Anschließend spricht Anke Schreiber. Stellt eher ihre Person in den Vordergrund. Sagt, dass sie ein Betriebswirtschaftsstudium beendet habe. Dass sie deshalb einen solchen Verband zu führen vermöge.
Dann die Abstimmung. Im ersten Wahlgang geben 118 Delegierte ihre Stimme ab. Stimmberechtigt sind nur 116. Ungültig. Im zweiten Wahlgang werden die Delegierten namentlich aufgerufen. Anke Schreiber erhält 55 Stimmen, Norbert Englisch 60. Eine knappe Entscheidung. Der Verband hat einen neuen Präsidenten. Doch die geistige Mauer muss er erst beseitigen. Nur einer scheint am Ende des langen Tages wirklich glücklich: Norbert Freudenberger kommen ein paar Tränen. Er hofft, dass nun sein Lebenswerk "Plopp" gerettet ist. Der Stein des Anstoßes wurde übrigens nicht mehr gewählt: Oliver Buckolt ist nicht mehr Beisitzer im Verbandsrechtsausschuss. Jede Revolution frisst ihre Kinder.

Wahlen im HTTV
Präsident: Norbert Englisch (Alten-Buseck, Neuwahl). Vizepräsident Finanzen: Peter Metzger (Langgöns, Wiederwahl). - Ressortleiter Leistungssport: Andreas Hain. - Ressortleiter Öffentlichkeitsarbeit: Wieland Speer (Neuwahl).
- Ressortleiter Jugendsport: Klaus Göller (Frankfurt, Wiederwahl) - Ressortleiter Medien: Norbert Freudenberger (Modautal-Ernsthofen, Wiederwahl). Ressortleiterin Schülersport: Andrea Heckwolf (Pfungstadt, seither kommissarisch). - Beisitzer Jugendausschuss: Michael Anders (Hornbach/Bergstraße, Neuwahl). - Beisitzerin Seniorenausschuss: Christel Locher (Frankfurt, Neuwahl).
- Vorsitzender Satzungsausschuss: Winfried Krell (Dieburg, Wiederwahl). - Beisitzer Ehrenrat: Heinz Klenk (Langen, Wiederwahl). -Vorsitzender Revisionskammer: Bernhard Binnewies (Lorsch, Wiederwahl). - Beisitzer Verbandsrechtsausschuss: Peter Reinhold (Obertshausen, Neuwahl)

 

Kommentar von Karsten Zipp
Neuanfang

Der Hessische Tischtennis-Verband wagt den Neuanfang. Nach den Querelen der vergangenen Monate haben sich die Delegierten für einen neuen Präsidenten entschieden. Der heißt Norbert Englisch und hat dem Verband schon einmal vorgestanden. Ein erfahrener Mann also. Allerdings wurde der Alten-Busecker nach einem turbulenten Verbandstag nur mit knapper Mehrheit gewählt. Und genau das verdeutlicht seine Aufgabe für die kommende Amtszeit: Englisch muss einen Verband wieder vereinen, der sich zuletzt in zwei Lager gespalten hat. Eine Aufgabe, die allerdings kaum einer besser lösen kann als der erfahrene Funktionär. Seinen ersten Beitrag zur Versöhnung der zerstrittenen Gruppen hat der neue Präsident bereits geleistet. Bereits vor der Wahl verdeutlichte Englisch, dass er nicht der Kandidat einer Gruppe, sondern der Mann aller Vereine sein will. Ein kluge Positionierung. Für den Verband bleibt zu hoffen, dass der ehemalige


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