Der Countdown zur neuen Tischtennis-Saison läuft. Auch der Nachwuchs steht ab sofort wieder im Punktspielbetrieb an den Platten. Wir haben uns im Vorfeld mit Jan Müller unterhalten. Der neue Kreisjugendwart beschreibt den Ist-Zustand. Immer weniger Vereine haben eine intakte Jugend-Abteilung und melden Mannschaften für den Ligenbetrieb. Haben sie dafür eine Erklärung?

Jan Müller: Das stimmt so nicht ganz. Ich gebe ihnen dahingehend Recht, dass diese negative Entwicklung vor Corona im Kreis Gießen leider der Fall war. Zu diesem Zeitpunkt gab es im Nachwuchsbereich auf Kreisebene nur noch die Spielklassen Kreisliga J15 und J19. Der junge Nachwuchs mit sieben oder acht Jahren musste sich damals gegen 13-14-Jährige behaupten. Dies ist mir damals schon negativ aufgestoßen. Meinen eigenen Kindern habe ich immer klar gemacht, dass es die ersten ein, zwei Jahren auf die Mütze gibt. Danach geht es aufwärts, dann seid ihr älter. Corona hat schließlich dieser Entwicklung den Rest gegeben und die Nachwuchsarbeit teilweise zum Erliegen gebracht.

Wie ging es dann weiter?

Nachdem die »Corona-Einschränkungen« aufgehoben wurden, standen die Vereine von dem Problem: Wo sind die Kinder hin? Viele haben in dieser Zeit aufgehört. Man musste sich wieder neu um Nachwuchs bemühen. Auch ehrenamtliche Helfer mussten wieder neu motiviert werden. Glücklicherweise wurde damals vom HTTV das Projekt »Aufbruch« ins Leben gerufen. Uns ist es gelungen, eine Trendwende in der Entwicklung hinzubekommen. Deswegen auch meine Bemerkung: »Das stimmt so nicht ganz.«

Das heißt genau?

Die Vereine, die Nachwuchsarbeit leisten, steigen wieder. Auch die Anzahl der gemeldeten Mannschaften. In der Saison 2023/24 waren beispielsweise 41 Jugendmannschaften aus 19 verschiedenen Vereinen auf Kreisebene gemeldet. Aktuell sind es 50 Jugendmannschaften aus 21 Vereinen. Außerdem hat sich auf Kreisebene die Spielklasse Kreisliga J13 etabliert. Jetzt kommt neu die Spielklasse Kreisliga J11 für den jungen Nachwuchs hinzu. Auch in den höheren Ligen sind wieder mehr heimische Mannschaften zu finden.

Ganz generell, haben sie eine Vorstellung, warum der Tischtennis-Sport nicht mehr so bei der Jugend zieht wie vielleicht noch vor 20, 30 Jahren?

Das Sportangebot ist heutzutage breiter geworden. Kinder und Jugendliche haben wesentlich mehr sportliche Angebote. Die Gesellschaft ist auch im Wandel. Wichtig ist, dass man die Entwicklung mitgeht und insbesondere sich vor der Jugend nicht verschließt. Dies betrifft nicht nur die Sportart Tischtennis, die nach wie vor interessant für die Jugend ist. Aber wie bei allen Sportarten ist es wichtig, Angebote zu schaffen. Überall dort, wo leidenschaftlich Nachwuchsarbeit geleistet wird, es viele ehrenamtliche Helfer und im Idealfall noch qualifizierte Übungsleiter gibt, sind viele Kinder in den Hallen.

Zuletzt bei der hessischen Rangliste der Jugend 11 und 15 in Schotten waren nur zwei Mädchen und ein Junge aus den heimischen Kreis am Start. Fehlt da die Qualität in der Spitze?

Ich würde die Qualität in der Spitze nicht an der hessischen Rangliste der Jugend 11 und 15 festmachen. Wir haben sicher mehr als drei Spieler in den Altersklassen 11 und 15 im Kreis, die das Potenzial haben, auf diesem Niveau zu spielen. Aktuell fehlt uns eher die Breite in der Spitze.

Bei den Mädchen ist mit dem TSV Allendorf/Lda. wenigstens wieder mal ein heimischer Vertreter in der Hessenliga (U19) aktiv, bei den Jungs dagegen Ebbe. Sind die Mädchen ehrgeiziger, zielstrebiger?

Am Ehrgeiz und an der Zielstrebigkeit liegt es auf keinen Fall. Es gibt momentan einfach keine reinen Mädchen-Kreis- oder Bezirksligen. Mädchen spielen in der Regel bei den gemischten Mannschaften bei den Jungen mit. Wenn Mädchen gegen Mädchen auf einem guten Niveau spielen wollen, muss man Hessenliga melden. Um Hessenliga bei den Jungs spielen zu können, sind wesentlich mehr Hürden vorhanden und das Niveau ist noch höher.

Auch auf Bezirksebene reichte es zuletzt beim Tag der Bezirksschüler nur zum vierten und vorletzten Platz, in der Vorsaison waren die Gießener sogar noch auf dem letzten Platz geführt worden. Leisten die anderen Kreise bessere Arbeit und/oder haben die mehr Unterstützung?

Kreise wie der Main-Kinzig-Kreis oder die Wetterau haben schon seit Jahren eine starke Jugendarbeit, wo wir ehrlich gesagt noch etwas hinterher hinken. Bei uns waren in diesem Jahr am Tag der Bezirksschüler leider einige Leistungsträger verhindert. In der Breite sind wir noch nicht so aufgestellt, um vorne mitmischen zu können. Aber auch hier ist die Entwicklung der letzten zwei, drei Jahren im Kreis Gießen spürbar. Im Vorjahr haben wir noch den letzten Platz belegt. Dieses Jahr lagen wir nur knapp hinter dem dritten Platz mit Fulda. Wir sind auf dem richtigen Weg.

Was unternimmt der heimische Tischtennis-Kreis, um wieder eine Aufwärtsbewegung im Nachwuchsbereich hinzubekommen?

Derzeit befinden wir uns bereits in der Aufwärtsbewegung. Nach Corona haben wir - mit wir meine ich alle motivierten Vereinsvertreter, die aktiv mitwirken und einen Aufschwung vorantreiben wollen - uns im Kreis Gießen zusammengesetzt und beraten, was wir tun können. Glücklicherweise wurden wir mit dem Kreis Gießen beim Pilotprojekt »Aufbruch Hessen« des HTTV ausgewählt und bekamen einen Strukturmanager zugewiesen. Mit ihm haben wir einen Ist-Stand festgestellt, Probleme im Kreis erörtert und zu guter Letzt, wie wir dem negativen Trend entgegenwirken können.

In dieser Zeit hat sich ein Team gebildet, dem sich jeder anschließen kann. Seit 2022 haben wir uns mittlerweile 25 mal getroffen und verschiedene Dinge, vor allem im Nachwuchsbereich, bewirkt. Uns ist wichtig, dass wir die Vereine mit ins Boot holen, Hilfe und Angebote für die Vereine schaffen. Nachhaltige Jugendarbeit können wir nur erreichen, wenn wir die Vereine erreichen. Letztlich findet die Jugendarbeit dort statt.

Können Sie uns ein paar Beispiele dafür liefern, was Sie bisher gemacht und erreicht haben?

-Unterstützung und Durchführung von Schulaktionstagen in den Jahren 2022/2023

-Ausrichtung von Anfängerturnieren unter Einbindung von Vereinen, vor allem jenen, die wieder neu Jugendarbeit gestartet haben

-»Girls Day« - ein Trainingstag nur für Mädchen, der halbjährlich an wechselnden Örtlichkeiten stattfindet

-»Boys Day« - auf Wunsch nachträglich ein Trainingstag für Jungs halbjährlich eingerichtet.

-Lehrgänge in verschiedensten Formen - selbst als Ausrichter oder in unterstützender Form bei Vereinen.

Sie haben noch etwas auf dem Herzen?

Genau, a n dieser Stelle der Hinweis: Nach 25 Aufbruch-Sitzungen haben wir beschlossen, alle Vereinsvertreter und Interessenten zu einem kleinen Jubiläum einzuladen. Wir richten am heutigen Mittwoch im Vereinsheim in Allendorf/Lda. am Sportplatz einen Workshop aus und hoffen, einige Tischtennisbegeisterte im Kreis damit neugierig zu machen, was zukünftig noch so in Planung ist.

Viele Sportvereine beklagen fehlende Ehrenamtliche, die z.B. Kinder zu den Spielen fahren oder sich bei der Organisation des Trainings oder von Turnieren einbringen. Hat damit auch der Tischtennis-Nachwuchs ein Problem?

Ja, auf jeden Fall. Das Melden einer Jugendmannschaft am Spielbetrieb erfordert einiges an Organisation. Neben regelmäßigem Training, Betreuung bei Turnieren, Fahrten zu den Auswärtsspielen ist das ein hoher Aufwand. Vor allem in den kleinen Vereinen sind die genannten Probleme spürbar und oft der Grund, warum keine Jugendarbeit angeboten werden kann. Gerade im Tischtennis ist die Nachwuchsarbeit bei kleinen Vereinen von einzelnen Personen abhängig. Wenn die wegbrechen, fällt die Jugendarbeit zusammen. Wenn die Personen erst gar nicht da sind, gibt es keine Jugendarbeit.

Was würden Sie sich wünschen, was sind ihre größten Sorgen?

Ich würde mir wünschen, dass sich in den Vereinen mehr Ehrenamtliche finden und sich die Arbeit auf mehrere Schultern verteilt. Die Zukunft liegt in der Nachwuchsarbeit. Wenn alle aktiven Vereine Nachwuchsarbeit betreiben, haben wir keine Nachwuchsprobleme mehr. Sorgen habe ich eigentlich keine.

Ich betreibe seit Jahren ehrenamtlich Jugendarbeit in meinem Heimverein, da dort meine Kinder spielen. Wenn meine Kinder »das Alter« erreicht haben, sind andere dran. Die Funktion des Jugendwartes habe ich übernommen, da ich selbst vier aktive Kinder habe, die Tischtennis spielen. Mein Eigeninteresse ist, dass sie Spaß haben und sich gut entwickeln können. Da ich nach Corona selbst mit der Situation im Kreis unzufrieden war, blieb mir nichts anderes übrig, als selbst auch Verantwortung zu übernehmen.

Was fasziniert Sie am Tischtennis? Warum sollten Kinder und Jugendliche diesen Sport erlernen und ausüben?

Tischtennis ist eine besondere Sportart, kann bis ins hohe Alter gespielt werden. Wenn der Körper mitzieht, ist es möglich, selbst jenseits der 70 noch zu spielen. Der zeitliche Aufwand für Tischtennis kann auch flexibel je nach persönlicher Situation gestaltet werden. Aber auch mit wenig Trainingsaufwand kann aktiv in einer Mannschaft gespielt werden. Für Kinder und Jugendliche ist es eine tolle Sportart, in der sie individuell und in einer Mannschaft spielen können. Egal, ob Studium oder Lehrstelle, es hindert keinen, weiter zu spielen oder eine Pause einzulegen.

Ein Einstieg ist jederzeit, auch noch im mittleren Alter, möglich, wo man bei vielen anderen Sportarten nur noch Zuschauer ist. Außerdem ist im Vergleich zu anderen Sportarten die Verletzungsgefahr wesentlich geringer. Gerade in der freien Wirtschaft sind Arbeitgeber nicht erfreut, wenn Sportler wieder wegen Bänderrissen oder Ähnliches wochenlang ausfallen. Meine Empfehlung: »Spielt Tischtennis und ihr habt eine Sportart bis ins hohe Alter!«

Haben Sie Hoffnung, dass der Tischtennis-Sport auch in 20, 30 Jahren noch ausgeübt wird?

Wir sind hier auf keiner Beerdigung oder Abschiedstournee. Natürlich wird man auch in 20, 30 Jahren noch Tischtennis spielen. A und O ist die Nachwuchsarbeit. Mein Ziel ist es, in 30 Jahren selbst noch zu spielen. Wäre schade, wenn ich dann keine Gegner mehr hätte.

 


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